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RAF Camora: XV | Review

14. Juli 2023 von

©RAF Camora | Cover von XV ©RAF Camora | Cover von XV

RAF Camora beginnt mit dem Album “XV” eine neue Ära. Warum Du Dir das anhören solltest und wie ich es im Vergleich zum vorherigen Album beurteile – eine Review.

Harte Fakten

  • Hörsituation: Dynamisch, energisch – im Club, auf Partys, beim Sport, während einer Autofahrt etc.
  • Releasedate: 23. Juni 2023
  • Medium: digital; physisch: CD (Limited Box), LP (limitiert); XV RR ab 08.09.23 erhältlich
  • Songs, Spielzeit: 15 Songs, 38 Min. 46 Sek. Spielzeit
  • Features: Luciano, Yung Hurn, Ahmad Amin, CRO, Mathea, Ashafar, Trobi, HoodBlaq
  • Producer: vorwiegend RAF Camora, The Royals, The Cratez, Neal & Alex, Flo Moser; außerdem Minti, Beataura, Voluptyk, M6DR, JuLee Beats, Yulo, Lucry & Suena, Carli, Philip Morris, BadCompany, Trobi, The Plugz Europe, Shevchenko
  • Label, Vertrieb: Indipendenza, Groove Attack
  • Tour: ja, März 2024

Nachdem RAF Camora in seiner “Zukunft” angekommen war, scheint er nun auch zu sich gefunden zu haben. “XV” präsentiert sich akustisch dynamisch, energiegeladen und kraftvoll, ein Album zum Starten und Durchziehen und weniger zum Chillen. Und auch, wenn die Song-Releases vorab es mich anders befürchten ließen, ist das Album ziemlich hörenswert und bietet ein paar gute Rap-Momente. Der Fokus der LP liegt erneut auf dem Sound, der hochqualitativ produziert wurde und auch auf der besten Soundanlage gut klingt. Es sind ein paar Songs mit knapp 3 Minuten Länge drauf, immerhin. Obwohl ich beim ersten Hörerlebnis den Eindruck hatte, es sei der gewohnte RAF-Sound, bringt “XV” eine gewisse Frische mit. Viele meiner heftigsten Kritikpunkte an der vorherigen Platte sind hier größtenteils obsolet.

Zunächst einmal: Hör Dir “XV” während der Lektüre dieser Review z. B. hier, klick mich, an.

Was war ich gespannt auf das neue Album, nachdem ich das letzte Werk “Zukunft”, wie ich in meiner Review ja ausführlich darlegte, leider deutlich kritisierte – aber es trotzdem gern höre. Und um zu spoilern: Es ist fast so, als hätte RAF meine letzte Rezension gelesen und sich zu Herzen genommen. “XV” ist ein Album, das ich mag, musikalisch holt es mich ab und mit den Inhalten kann ich mich größtenteils arrangieren. “XV”, der Titel, ist übrigens eine Widmung an den 15. Bezirk Wiens (Rudolfsheim-Fünfhaus), dessen “Strada” RAFs Persönlichkeit und seinen Lebensweg geprägt haben. Nicht nur das Cover ist eine weitere Hommage an seine Heimatstadt, mit “Wien” hat die Stadt nun auch eine eigene Hymne. Das neue Album kommt auch international eloquent daher, RAF ist stets klar verständlich, es gibt mehr Songs über 2 Minuten 30 als beim Vorgänger, leider bleibt es aber wieder bei knapp unter 40 Minuten Gesamtspielzeit.

“Was ich erleb’, ist nicht normal, ja, ich weiß/
Gruß an die Brüder aufm Bau, die Möbel packen zu zweit”

(“Strada”)

Die Songs

Mit “Anna” richtet sich RAF an seine Ex – nicht an die, der oder denen er schon so lange nicht vergeben kann oder möchte (vgl. bspw. Songtext “Gotham”), sondern an eine andere, wegen der er sich mutmaßlich selber schwer vergeben kann. Respektvoll, im Guten, spricht er über “Anna” (kleine FAQ: der Name ist ein Pseudonym). Der Song hat in mir eine ganze Reihe von Überlegungen ausgelöst. Rein musikalisch ist es ein unfassbarer Ohrwurm mit warmer Klangfarbe, und ob man will oder nicht – “Anna” bleibt danach den ganzen Tag bei Dir. Größter Kritikpunkt sind die hier überaus dürftigen Lyrics, denn gerade mal vier Bars bekommen wir jeweils in den zwei vorhandenen Parts zu hören – das Stück besteht eigentlich nur aus Hook und Bridge und diese wiederum eigentlich nur aus der Namensnennung (94-mal, wenn ich mich nicht verzählt habe). Wer schon mal mit ganzem Herzen geliebt und/ oder gelitten hat, kennt es: Du hast unzählige Gedanken und Gefühle, doch letztendlich sind alles nur Worte und alles in einem kreist sich, in der Quintessenz, um diese eine Person, in diesem Falle “Anna”. Einerseits hätte ich gerne mehr erfahren, dachte ich mir, und andererseits verstehe ich, dass RAF das nicht breittreten möchte, und wahrscheinlich möchte auch sie das nicht… Insofern passt es menschlich für mich. Letztendlich allerdings, wenn man sich “XV” mehrfach anhört, stresst mich der Song, weil es gefühlt einfach nur eine aneinandergereihte Wortwiederholung ist. Bedauerlich, denn der Beat könnte zu meinen Lieblingen gehören.

Auf “Tränen” ist sein zweiter weiblicher Feature-Gast ever, Mathea, nachdem das erste auf seiner letzten LP zu finden ist. Auch unabhängig von Female Empowerment gehört dieser Track zu meinen Lieblingssongs auf “XV”: Es ist deep. Es hat Lyrics. Es geht über 3 Minuten. Ich liebe den Kontrast zwischen den musikalischen Good Vibes und der Bitterkeit des Storytellings – Du kannst dazu tanzen oder weinen oder beides gleichzeitig. Es ist ein Song über Liebe, aber mit eher wenig Kitsch. Und Mathea passt einfach super! Ja, ihre Stimme ist stark mit Autotune modifiziert, aber mir gefällt es, wie es ist. Langjährige RAF-Hörer finden bei “Tränen” bekannte Elemente. So taucht, wie ein:e alte:r Freund:in, mal wieder das Sample von Robert Miles’ “Children” auf. Camora rezitiert außerdem seine eigenen Lines. Und auch eine Zeile ist dabei, die auf einen äußerst bekannten Rocksong einer deutschen Band anspielt, welche in den letzten Wochen in den Medien sehr wegen dem Frontsänger bzw. dessen Art des Umgangs mit weiblichen Fans in der Kritik steht – unglückliches Timing, das war so nicht vorab bekannt und hier hat RAF einfach Pech! Ich hatte übrigens spontan mal die Idee, dass “Tränen” ein schöner Song wäre für eine Klassik-Version, mit Orchester und allem drum und dran…

Weg von der Deepness, reden wir noch über “Kein Kontakt”. Camora kann es also doch noch: Rappen, austeilen und flexen. Bei dem Track habe ich gleich einige Lines, die bei mir hängengeblieben sind, besonders der zweite Part hat es mir angetan. Traurig, dass “Kein Kontakt” nur 2 Minuten lang ist. Ein Trend des aktuellen Zeitgeistes, bei dem ich mir so sehr wünsche, dass er aufhört zu spuken. Wenn man die Kommentarspalten auf diversen Medien überfliegt, bin ich damit nicht alleine, die zu kurzen Tracks gehören zur gefühlt meistgenannten Kritik an RAFs Songs. Trotzdem macht “Kein Kontakt” richtig Spaß. Direkt danach kommt “Weit weg”, eine Art Fortsetzung von “2CB”. Tja, lyrisch haut mich das nicht vom Hocker, trotzdem macht der Song Laune und ich höre es gern.

“Du bist im Späti, ich in der Zukunft/
Was für neue Wave? Du bist Bluetooth”
(“Kein Kontakt”)

Mein absoluter Fav auf “XV” ist definitiv “Gotham“, ich fühle mich echt in love mit diesem Song! Ich brauche überhaupt kein Video dazu (sorry Shaho), den RAF schafft es auch so, in meinem Kopf einen ganzen atmosphärischen Film entstehen zu lassen. Der Beat ist nicht zu reizüberladen gehalten, so dass mein Gehirn Raum hat, die Details wirken zu lassen. Für mich stimmt hier alles: Lyrics, Beat, Vibe und RAFs tiefe Bass-Stimme, sogar die Adlibs – einfach classy. Bei diesem Song bekomme sogar ich beinahe Lust, einen Führerschein zu machen, mir ein Auto zu kaufen und das Ding nachts beim Fahren zu hören. Aber auch ohne all das, bei “Gotham” schwebt meine Seele einfach davon, kann auf den Noten wegtreiben und lässt alles hinter sich.

 

Eines muss man Camora lassen: Intros kann RAF, er schafft es bei jedem Album mich auf ein gutes Hörerlebnis einzustimmen. Ironisch ist aber irgendwie, dass das Intro länger ist als so mancher Song auf der Platte (aber wehe, daran wird etwas geändert, denn dass seine Intros eine gewisse Länge mitbringen, ist absolut richtig – und bitte nicht noch mehr ultrakurze Tracks).

Etwas, worauf man sich bei RAF ebenfalls verlassen kann, sind die obligatorischen Tracks über motorisierte Fortbewegungsmittel, diesmal ist es ein “Toyota”, feat. Ashafar und Trobi. Ich persönlich kann die Glorifizierung von Autos in Zeiten der Auseinandersetzung mit Klimawandel, Emissionen und Nachhaltigkeit weder feiern noch möchte ich das unterstützen, weshalb ich mich nicht auf diesen Song einlassen kann, I’m sorry.

“Deine Hoe, sie steht auf meinen dreckigen Sound/
Geht auf die Knie und fängt an zu kau’n”

(“Cagoule”, Veysel von HoodBlaq)

Wo mir Kritik enorm leicht fällt, ist bei “Cagoule”, feat. HoodBlaq. Hier ist das Bedürfnis zu skippen sogar noch deutlicher als beim zuvor kritisierten lyrikarmen “Anna”. Ich kann es nicht charmanter formulieren, aber der Track nervt mich hart und bringt mich jedes Mal aus der positiven Stimmung heraus. Ich fühle es nicht nur nicht, ich bin einfach komplett asynchron mit dem Vibe. Es weckt in mir dieselben Emotionen wie “Kapuze im Club” (was für mich nicht nur wegen des Titels das Pendant ist und ich ebenfalls nicht mochte). Die Parts von HoodBlaq finde ich von der Wortwahl her problematisch und keinesfalls mehr zeitgemäß: Heute, im Jahre 2023, erwarte ich eine reflektierte und respektvolle Sprache in Bezug auf Frauen* und weiblich gelesenen Personen und dass generell die Würde aller Menschen geachtet wird.

Fazit

Ich bin echt überrascht, denn basierend auf den vorab veröffentlichten Songs hatte ich nicht erwartet, dass mir “XV” gefällt. Es ist ein feierbares Album, auch für mich, obwohl es recht poppig ist. Ich kann das Gesamtwerk fast ohne zu skippen durchhören und die Songs sind harmonisch miteinander arrangiert, das Soundbild ist stimmig – nur “Cagoule” passt für mich da irgendwie so gar nicht rein. Die nicht allzu lange LP (was bedauerlicherweise dem Zeitgeist entspricht) ist hochwertig produziert, sodass sie sich sowohl leise als auch laut verdammt gut anhört. Im Vergleich zum vorherigen Album verstehe ich jedes Wort, die Aussprache ist klar und präzise, Beats und Vocals wurden sehr gut miteinander abgemischt. RAF flowt auf dem erwarteten, gewohnt hohen Niveau. Seine Skills in Bezug auf Betonung und Technik haben sich, meinem Eindruck nach, sogar noch etwas gesteigert.

Ich persönlich bin erleichtert über die diesmal geringere männliche Toxizität bzw. interpretierbare Frauenfeindlichkeit, die ich bei “Zukunft” übermäßig empfand, und ich fühle mich mit RAF ausgesöhnter. Ich hoffe, dass er inzwischen dafür sensibilisiert ist, wie verletzend und pauschalisiernd manchmal seine Wortwahl ist. Bezogen darauf, wie groß seine Reichweite geworden ist, wünsche ich mir, dass er sich der Auswirkungen respektvoller Sprache bewusst ist, welche Botschaften er damit vermittelt, und dass auch er ein Teil einer positiven Veränderung sein kann, die die allgegenwärtige Lebensrealität von weiblich gelesenen Menschen betrifft. Um es nochmal deutlich zu schreiben, damit ich nicht missverstanden werde: Ich finde es nicht verwerflich, wenn jemand Models, Körperteile und Sex liebt und wenn jemand darüber spricht, sondern mir geht es um die Art und Weise, wie darüber gesprochen wird. “XV” ist dahingehend eine Verbesserung im Vergleich zum Vorgänger, aber da geht noch mehr.

Was mir bei “XV” erstmalig deutlich auffällt, ist der Einfluss seiner vielen Reisen durch die Welt: Rund ein Drittel der Lieder sind multilingual betitelt; RAF rappt zwar hauptsächlich auf Deutsch, doch einzelne Wörter oder auch ganze Lines sind es nicht mehr. Auch in anderen Sprachen klingt RAF gut und “international” gefällt mir grundsätzlich. Was die Zwischenzeilen angeht, wirkt RAF insgesamt auf diesem Album mehr in sich ruhend, ausgeglichener; auf mich macht seine Persönlichkeit einen definitiv gefestigteren Eindruck als noch auf “Zukunft”. Ein zufriedener Camora, das hätte ich mir vor 10 Jahren schwer vorstellen können, dass das immer noch gut klingt – doch das tut es. Vermutlich aber könnte RAF Kindermärchen vertonen und es wäre immer noch wohlklingend. Stimmbänder aus Gold, Platin, Diamant oder so ähnlich und Produzenten aus der obersten Liga.

Mein Endfazit also: Einen 10-Jahresvergleich sollte man nicht machen, denn künstlerisch hat sich RAF Camora in ganz andere Richtungen entwickelt. Lyrikfans kommen bei “XV” leider nicht wirklich auf ihre Kosten, manche Lines machen nicht so viel Sinn, und RAF schneidet Themen oft an (“Doch die Probleme, die ich hab, Bruder, die willst du nicht kenn'”) und führt sie dann nicht weiter aus. Schade! Dem reinen Hörgenuss tut das aber kaum Abbruch, deshalb dennoch meine klare Empfehlung.

“Bin mit der Squadra, alle 1,90/
Wir sind wie Mafia, aber in freundlich”
(“Weit weg”)

Im September erscheint übrigens “XV RR” (vielleicht werde ich auch darüber schreiben). Ah, und wer Interesse hat: Im März 2024 geht “XV” auf Tour. Ich bin davon überzeugt, dass mit diesem Album, einem Profi mit Perfektionismushang wie RAF und seinem Konzertveranstalter aus dem Boldt-Imperium die Shows safe Abriss sein werden!

XV und XVRR kaufen/ hören/ Live erleben:

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RAF Camora “XV” Review

14. Juli 2023

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